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Es sind diese merkwürdigen Geschichten, die scheinbar heranfliegen von irgendwoher, die sich erfinden, manifestieren, die aus der Vergangenheit kommen oder aus der Zukunft,  aus Wünschen wachsen oder aus Befürchtungen, die uns beschäftigen und träumen lassen, wie einst als Kinder, wenn wir in vertrauter Runde zusammensaßen und fantastische Dinge besprachen.


 


Amazonas

Hand in Hand betraten sie den Flughafen. Ihr Gepäck trugen sie über der Schulter, mehr nahmen sie nicht mit.

Er spürte ein unglaubliches Glücksgefühl heranwachsen, eines, das er noch nie auf solche Weise erfahren hatte. Es hing, so empfand er es, mit dieser gemeinsamen Entscheidung zusammen. Und als er Erika fragte, ob sie es wohl ähnlich sähe, sagte sie nichts, sie sah ihn nur an und küsste ihn auf den Mund. Da wusste er, dass sie es ebenso sah.

Sie hatten ein gemeinsames Ziel.

Es war weniger die Stadt dort am Amazonas, seinem Jugendtraum, was sie beflügelte und glücklich machte, die Erika ausgesucht hatte, die sie erreichen wollten, es war jenes  selbstbestimmt Endgültige, das in ihrem Tun lag, etwas, das nicht von irgendwem vorgegeben war, wie sonst immer. Sie strebten diesem freien, eher ideell empfundenen, diesem sehr fernen Ziel zu, brachen das Bisherige ab.

Er fühlte zum ersten Mal in seinem Leben eine Art tiefere Bestimmung in allem liegen.

Es wäre gleichgültig, ob sie in einem Dorf mitten im Urwald unterkämen, in irgendeiner Hütte, einem Zimmer oder in einer Wohnung dieser Stadt, es war der Strom, der Amazonas, die abenteuerliche Ferne, die Sehnsucht der Jugend, dies alles läge direkt vor der Haustür, in fassbarer Nähe. Die Träume wären erreicht.

Und Erika war dabei, mittendrin in diesem glücklichen Wirrwarr seiner Gedanken, die durch den Kopf jagten.

Die große Halle des Flughafens war von einem Summen und Brummen, einem Rauschen und Getöse erfüllt, welches so gar nichts mit dem monotonen Geräusch der Walzen zu tun hatte, dieser Walzen und Räderwerke, die sich noch eine Weile weiter drehen mochten, ordentlich und zuverlässig, an dem Arbeitsplatz, den er nun endgültig verlassen hatte.

Dies hier war Chaos. Er liebte es. Spontan liebte er es. Es erschien ihm wie der noch nicht völlig geordnete Versuch des tatsächlichen, seines wirklichen Fortschritts, ihres gemeinsamen Fortschritts.

Ein leichter Schwindel griff nach ihm. Es war beinahe wie auf dem Kettenkarussell. Aber er wurde dieses Mal nicht ohnmächtig, so wie damals. Er spürte eine Anspannung, ein Glück, das ohnegleichen war.

Er wusste, sie waren die einzigen, hier auf dem Flughafen, die einen richtigen Plan besaßen.

Die Menschen um sie her liefen geschäftig durcheinander, sahen auf die Uhren an den Handgelenken, guckten wichtig und betroffen, aber alle liefen planlos dort herum. Ohne diesen einen, den richtigen Plan.

Trotz der überall hängenden Fahrpläne, Flugpläne, Reisepläne, Richtungsweiser, trotz der Werbeplakate, welche lächelnde, aber, wie ihm schien, unglückliche Menschen und oberflächliche Gesichter zeigten, trotz der Uhren vor allem, der eigenen und der zahlreichen anderen, dieser öffentlichen, tausende von Uhren hingen da herum, trotzdem waren sie planlos.

Sie beide waren die einzigen, die wirklich wussten, wo es lang ginge.

Hand in Hand liefen sie durch die Kontrollen. Was kontrollierten die eigentlich? ...

Hand in Hand standen sie in dem Bus, der sie zum Flugzeug brachte, und Hand in Hand liefen sie den engen Flugzeuggang entlang, Erika ein wenig voraus, zu ihren Plätzen hin.

Sie flogen ins Glück, das wusste er, das war völlig klar, so wie sie es spürten, in ihr ganz persönliches Glück.

Aus der Erzählung: 'Schichten, Walzen und Gedanken'