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Als der Verlagsangestellte Richard Paul seine neue Eigentumswohnung bezieht, hat er keine Ahnung, was ihn erwartet. Merkwürdige Menschen mit eigenartigen Fähigkeiten leben zusammen in einem Haus, das offenbar selbst auf irritierende Weise Einfluss zu nehmen scheint. So etwas ist völlig unmöglich, das sind Trugbilder, Geistesverwirrungen, da ist sich der neue Eigentümer sicher, wenn immer wieder Unbegreifliches die Grenzen zwischen Fiktion und Realität zu verwischen droht. Doch mit der Zeit erkennt er Bedeutung und Zusammenhänge und er muss sich entscheiden.


Richard Paul zu Hause. Er grübelt:

Meine Bibliothek! Erlebnisse, Folgerungen, Ratschläge, eingereiht in übersichtliche Regale. Zugriffsbereit. Lebensformen beschreibend, die einem gefielen - oder auch nicht. Hier konnte man sich selbst und auch anderen vortrefflich aufzeigen, dass alles schon einmal geschehen oder gewesen war. Menschenbeschreibungen, Helden, Antihelden, denen man verbunden war, die litten oder sich freuten, so wie man es selbst tat oder gerne tun wollte. Es war, wenn ich ein Buch gelesen und wieder zurückgelegt hatte, als hätte ich eine erfrischende Neubelebung erfahren.

Später, viel später erst, war mir klargeworden, wie unumkehrbar - nach zerbrochenen Beziehungen, geplatzten Kinderträumen, enttäuschten Freundschaften - aus diesen anderen theoretischen Welten langsam und unaufhaltsam die neue Lebensform für mich entstanden war. Scheinbar lebte ich allein. Nach außen mochte das so wirken. Aber ich hatte ja meine Bücher und jene Welten um diese herum. Nein, einsam war ich nicht. Und frühere Verletzlichkeiten waren vorbei.


Träume am Morgen, wenn die Fischer hinausfahren und das Meer ruhig liegt


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"Kommen Sie", rief er munter, "öffnen wir ein Fläschlein. Gehen wir dieser Karaffe guten Rotweins auf den Grund. Was im Halse steckenzubleiben droht, sollte man runterspülen."

"Das ist alles?" Der Arzt wirkte etwas ratlos.

"Was meinen Sie?"

"Alle diese Fragen, Sie denken, dass sie unbeantwortbar bleiben?"

"Was denken Sie? Sie fragen mich? Ich bin ein Mensch, nichts weiter."

"Und ein Philosoph, ich weiß. Aber ich glaube", setzte der Doktor erneut an, "dass auch die Suchenden erfolgreich sein können, um, beispielsweise, ihr persönliches Glück zu finden. Oder was sie dafür halten. Erfolge meinetwegen. Zuspruch. Den Jubel der Menschen. Geld, Wohlstand. Wenn dieses ihr Glück ausmacht."

"Das denke ich auch. Ich nenne dieses das kleine Glück. Aber das größere Glück, das Gefühl des endlichen Erreichens einer einer lange ersehnten Angelegenheit, jenes Glück mit den fernen Horizonten, das ist ein wenig anders gelagert. In der Regel ist es - ich sage es mal so - einsamer. Vor allem ist es individueller. Noch individueller. Aber ich wiederhole mich."

 "Gut, mal ist es klein und mal groß, dieses Sehnen und das resultierende Glück. Im vorliegenden Falle waren die Vorgaben wohl unerreichbar."

"Man darf es jedenfalls nicht messen wollen, dieses Gefühl. Schon gar nicht mit den Instrumenten, die wir uns selbst zusammengebastelt haben."

"Aber es kann doch gut sein, dass unser Freund, der Physiker, mittlerweile glücklich ist, vielleicht tasächlich glücklich, weil er mit dieser Studentin als einer Art Seelenverwandter zusammen ist. Wenn sie es denn sind. Obwohl er noch immer nichts weiß. Nichts jedenfalls über die Dinge, die er suchte, die wir damals besprochen haben."

"Glück ist und bleibt - das ist eine beinahe schon dumme Wiederholung, weil es derart selbstverständlich ist - eine überaus persönliche Angelegenheit. Dieses Wissen, das er anstrebte, ich erinnere mich, es ging um diese Quanten, sollte wohl Erklärungen schaffen, wie bestimmte Empfindungen - oder auch alle insgesamt - im Kopf entstehen oder entstanden sind. War es nicht so? Es ging also um genau solche Instrumente zum Messen oder zum Erkennen von Gefühlen, von denen ich spreche, wie beispielsweise auch das 'Glück'. Ich glaube, dass ein solches Messen schlichtweg unmöglich ist. Dieses andere, worüber wir eben als vom kleinen Glück sprachen, ist leichter zu erreichen. Damals riet ich ihm dazu. Was er nicht hören wollte."

"ich weiß nicht", zweifelte der Arzt, "ob er das im Sinn hatte. Die Diskussion über das Glück ist jetzt entstanden, zwischen uns, in unserem Gespräch hier. Er hatte nie darüber geredet. Jedenfalls hatte er besondere Visionen, Vorstellungen auch, wie es in den Köpfen aussieht - oder so ähnlich. Er dachte, er könne über eine Analyse der Gehirnströme, dieser Teilchenflüsse, wie er es nannte, Erfahrungen machen, wie das abläuft, um zu solchen Visionen, also den Erscheinungen, die er hatte, zu kommen, beziehungsweise sie irgendwie einzuordnen. Um dann erkennen zu können, woher sie kamen. Oder so ähnlich. Das hatte mit Glück, wie wir es diskutieren, nichts zu tun."

"Sie brachten es ein."

"Ich weiß. Das geschah, weil ich unsicher bin."

"Ging es um diese Quanten?"

"Ja. Und die Studentin war völlig abgefahren auf diese Ideen."

"Das alles liegt sehr in starken Nebeln verhangen."

"Er wollte sie wohl lichten."

"Das kann für Wissenschaftler problematisch sein. Wie wir es gerade sehen und wie ich es eben sagte."

"Nicht nur für die."

"Er und die Studentin, sie haben sich wohl gemeinsam verstiegen, wie es so heißt", meinte der Philosoph.

"Man muss auch mal loslassen können, denke ich", murmelte der Arzt und es schien, als sei er in der Tat überaus traurig über den möglichen Verlust des Freundes, des Physikers Michael Hübner.

(Aus dem Roman 'Die Vision - Gedankenexperimente')


Freiheit im Fluge